Diagnostische Neuroradiologie

Die Neuroradiologie befasst sich mit Erkrankungen und Veränderungen des Gehirns und Rückenmarks sowie deren Hüllen und Nachbarstrukturen.

 

Die Neuroradiologie wird in zwei grosse Bereiche eingeteilt: die diagnostische (Erkennung von Erkrankungen, Anlagestörungen, Anomalien usw.) und die interventionelle (Behandlung von zumeist neurovaskulären Erkrankungen, invasive Eingriffe an der Wirbelsäule und Nachbarstrukturen) Neuroradiologie. Die zur Verfügung stehenden Apparaturen ermöglichen einerseits eine immer raschere und weitergehendere Klärung von Krankheitsprozessen und erlauben andererseits schonendere und weniger belastende Untersuchungen und therapeutische Eingriffe (minimal invasive Therapie).

Die Neuroradiologie ergänzt mit den üblichen radiologischen Untersuchungstechniken die Nachbardisziplinen Neurologie, Neurochirurgie, Neuropädiatrie, Psychiatrie, Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kieferchirurgie und Ophthalmologie (Augenheilkunde) sowie die Orthopädie und Innere Medizin. Sie bietet ihnen Hilfe in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht und ist ein wichtiger Bestandteil bei der minimal invasiven Behandlung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems geworden.

In der diagnostischen Neuroradiologie werden Röntgennativuntersuchungen, Computertomographie (CT), Kernspintomographie (Magnetic Resonance Imaging - MRI oder Magnetresonanztomographie - MRT), Angiographie (Darstellung der Adern mit Kontrastmittel), Sonographie (Ultraschall) und Myelographie (Untersuchung des Rückenmarkkanals mit Kontrastmittel) als Verfahren eingesetzt. Das Kantonsspital St.Gallen verfügt über all diese modernen Methoden, die auch regelmässig in der Patientenversorgung eingesetzt werden.

Aus den Anfängen der Neuroradiologie in den 1920er Jahren hat sich bis heute die klinische und wissenschaftliche Aussagekraft neuroradiologischer Untersuchungsmethoden erheblich erweitert da durch neue bildgebende Techniken neuroanatomische Detaildarstellungen, funktionelle Untersuchungen am lebenden Gehirn und Rückenmark in einer bisher nicht bekannten Qualität möglich geworden sind. So können mittlerweile zahlreiche Hirnfunktionen wie z.B. Bewegungen, Sprache, Gefühle und andere Wahrnehmungen am lebenden Objekt bestimmten Hirnarealen zugeordnet werden.

Abb. 1: Sprachzuordnung. Die rotgelben Areale zeigen Hirnaktivität während des Sprechens (Sprachbildung und -verständnis).

Fasersysteme, die als Nervenleitungen vergleichbar mit Stromkabeln bestimmte Hirnareale verknüpfen, lassen sich darstellen, was bei Operationen am Hirn schonendere Eingriffe ermöglicht.

Abb. 2: Nervenfasersysteme können je nach Verlauf farblich markiert und wie in diesem Beispiel zur Operationsplanung herangezogen werden, damit die Verbindungen verschiedener Hirnregionen geschont werden können. Andernfalls würde dies zu einem schweren Funktionsverlust führen.

Mit neuesten Methoden ist es sogar möglich, in die Zellen zu blicken und Stoffwechselerkrankungen oder Zellfunktionsstörungen aufzudecken.

Abb. 3: Das weisse Gebiet verrät eine Wassereinlagerung in Hirnzellen, wie sie exemplarisch bei Durchblutungsstörungen zustande kommen (Schlaganfall). Mit speziellen Techniken, die auch hier verwendet wurden, können solche Störungen bereits wenige Minuten nach Beginn erkannt werden, was eine extrem wichtige Grundlage für die anschliessende Behandlung darstellt, da diese beim Schlaganfall schnellstmöglich durchgeführt werden muss.

In enger Kooperation zwischen der Neuroradiologie und der Klinik für Neurologie wurde das Kantonsspital St.Gallen als erstes von insgesamt acht Spitälern in der Schweiz als Zentrumsspital für die Behandlung des akuten Schlaganfalls zugelassen und zertifiziert. Hierzu zählt ein grosses Netzwerk, welches weit über die Grenzen des Kantons externe Spitäler anbindet und ihnen die Möglichkeit bietet, Patienten und Patientinnen mit Schlaganfällen schnell und effizient zu versorgen. Dabei können über modernste Kommunikationsmöglichkeiten via einen vor Ort befindlichen Computer, welcher mit Mikrophon und Kamera ausgestattet ist, jederzeit Tag und Nacht Fälle von ärztlichem Fachpersonal beurteilt und eine entsprechende Therapie schnellstmöglich und sicher eingeleitet werden. Manchmal ist es sogar möglich, eine Gerinnsel-auflösende Behandlung von erfahrenem ärztlichen Personal vor Ort durchführen zu lassen. Schwere Schlaganfälle werden in unser Zentrum gebracht und dort weiter versorgt. Eine sehr wichtige Methode ist dabei die Entfernung eines Gerinnsels mit speziellen Saugkathetern (Aspiration) und Fangvorrichtungen (Stentriever). Es ist mittlerweile klar nachgewiesen, dass diese Vorgehensweise im Allgemeinen eine deutliche Verbesserung der anschliessenden Lebensqualität für Betroffene mit sich bringt. Nicht selten bedeutet das in Einzelfällen, dass Betroffene vor einem Leben als pflegebedürfte Person mit schweren neurologischen Ausfällen wie Halbseitenlähmung oder Sprachstörung bewahrt werden und wieder ein selbständiges Leben führen können.

Abb. 4: Früherkennung eines Schlaganfalls mit modernster computertomographischer Technologie. Auf dem linken Bild kann zu einem frühen Zeitpunkt zwar sicher eine Hirnblutung ausgeschlossen aber keine Aussage über eine Blutunterversorgung der Hirnzellen getroffen werden. Das mittlere Bild zeigt in rot-grün-gelb, dass auf der rechten Seite (linke Gehirnhälfte) ein grosser Teil der linken Gehirnhälfte nicht ausreichend mit Blut versorgt wird und deshalb ohne Behandlung absterben und zu einer bleibenden Halbseitenlähmung und Unfähigkeit zu sprechen und Gesprochenes zu verstehen führen würde. Das Bild rechts zeigt den entsprechenden Gefässverschluss, welcher durch ein Gerinnsel ausgelöst wurde. Dieser Patient wurde mit Kathetern behandelt und das Gerinnsel entfernt. Heute führt er ein selbständiges Leben ohne Beeinträchtigung.

Dreidimensionale Einblicke ins Hirn und den Rückenmarkskanal können wichtige Hilfestellungen zur Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Operationen liefern.

Abb. 5: 3D-Darstellung der linken vorderen Halsschlagader in ihrem Verlauf im Kopf per Katheterangiographie. Diese Ansicht kann in jegliche Richtung gedreht werden, um die Anatomie exakt darzustellen und dem Operateur so wichtige Informationen zu liefern. Der Pfeil weist auf eine Aussackung, die platzen und zu einer schweren Hirnblutung mit möglichem tödlichen Ausgang führen kann. In diesem Fall drückt sie auf Nerven, welche die Steuerung der Augen nicht mehr einwandfrei bewerkstelligen konnten und zu Doppelbildern führten.

Abb. 6: Darstellung vor und nach Versorgung einer Gefässaussackung eines Hirngefässes mit einer 3D-Darstellung mittels Katheterangiographie. In der Reihe oben links Darstellung der Aussackung (Pfeil) vor und rechts nach Ausschaltung mit Metallspiralen (Pfeil, silberne Kugel), die über einen von der Leiste bis ins Hirn vorgeschobenen Katheter eingelegt wurden. In der unteren Reihe Darstellung vor (links) und nach (rechts) Ausschaltung mittels Gefäss-Clip, welcher über eine offene Kopfoperation gesetzt wurde.

Abb. 7: Darstellung vor und während Verklebung einer Gefässmissbildung mit winzigen Kathetern, die über die Hirngefässe bis an die Missbildung vorgeschoben wurden. Mit einer speziellen Darstellungstechnik kann so während der Behandlung der Behandlungseffekt und -erfolg überprüft werden.

Je nach Art der Erkrankung kommen heute zahlreiche unterschiedliche Untersuchungstechniken zum Einsatz, die ein erhebliches Mass an Erfahrung und Spezialwissen voraussetzen. Dies führte zur Entwicklung von mehreren Fachbereichen und Schwerpunkten innerhalb der Radiologie, wie auch der Neuroradiologie.

Die optimale Patientenversorgung erfordert aber nicht nur speziell ausgebildetes ärztliches Personal, sondern ein gut ausgebildetes und eingespieltes Team aus Physikern, Medizintechnikern und medizinisch-technischen Radiologiefachpersonen. Zudem sorgen klar verabredete und festgelegte Prozesse von der Einweisung bis zur Entlassung eines Patienten bzw. einer Patientin zu einem bestmöglichen Zusammenspiel der vielen an einem Aufenthalt beteiligten Kräfte. Nur so kann am Ende ein optimales Ergebnis erzielt werden.