Hirntumoroperation im Wachzustand
Wachkraniotomie
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Geschichte der Wachoperation
Moderne Hirnoperationen am wachen Patienten gehen auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Viele Patienten starben damals an Komplikationen aufgrund der zu dieser Zeit verfügbaren Inhalationsanästhetika Chloroform und Äther. Deshalb suchte man nach Lösungen und stiess auf die Wachoperation, denn schon damals wusste man: Das Hirn selbst ist schmerzunempfindlich. Neben der Vermeidung der gefürchteten Nebenwirkungen der Allgemeinanästhesie hatte diese Operationstechnik einen weiteren entscheidenden Vorteil: Während die intraoperative Elektrostimulation am schlafenden Patienten lediglich in der Lage war, die motorische Hirnrinde zu identifizieren (durch Auslösung einer kontralateralen Muskelkontraktion), konnte der wache Patient nun über jegliche Empfindungen berichten, welche durch die Stimulation ausgelöst werden.
Ihre erste Blütezeit erlebte die Operationstechnik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Höhepunkt in den 1940er/1950er Jahren in Montreal unter dem kanadischen Neurochirurgen Wilder Penfield. Mit dem Aufkommen der Intubationsanästhesie nach dem zweiten Weltkrieg geriet die Technik etwas in den Hintergrund, erlebte aber in den 1980er Jahren eine Renaissance.
Grund hierfür war die Erkenntnis, dass sich nicht nur die Hirnrinde, sondern auch die weisse Hirnsubstanz elektrisch stimulieren lässt. Dadurch können insbesondere gliale Tumoren, welche das Gehirn diffus infiltrieren, unter Erhalt einer guten Lebensqualität radikaler operiert werden. Die seitherigen Erfahrungen zeigen, dass diese radikalere Operation bei diesen Hirntumoren zu einem signifikant längeren Überleben der Patienten führt.
In Kombination mit moderneren Konzepten der Chemo- und Radiotherapie haben diese Eingriffe über die letzten 15 Jahre zu einer Verdoppelung der Lebenserwartung bei Patienten mit niedriggradigen Gliomen geführt.
Hauptindikation
Eine Hirntumoroperation im Wachzustand eignet sich vor allem bei Tumoren, die das gesunde Gehirn diffus infiltrieren. Eine klassische Indikation stellt hierbei insbesondere das diffuse niedriggradige Gliom dar. Diese chronisch infiltrative Krankheit des Gehirns ist bis heute nicht heilbar und dazu vorprogrammiert, eines Tages bösartig zu werden. Das Risiko einer solchen malignen Transformation korreliert dabei direkt mit dem infiltrierten Gehirnvolumen. Die Wachoperation bietet die Möglichkeit, dieses Volumen maximal zu reduzieren, ohne dabei relevante Hirnfunktionen zu schädigen. Dies ermöglicht den betroffenen Patienten in der Regel, ein normales Familien- und Berufsleben zu führen – trotz der Krankheit und des stattgegefundenen Eingriffs. Auch bei höhergradigen Gliomen, Metastasen und Kavernomen kann die Operationstechnik von Nutzen sein, insbesondere bei unmittelbarer Nachbarschaft zu eloquenten Hirnarealen.
Prinzip der Operationstechnik
Unter aktiver Mitwirkung der Patienten können kognitive Leistungen wie zum Beispiel Sprechen, Lesen, und Raumwahrnehmung – welche mithilfe anderer Techniken aktuell nicht zuverlässig überprüfbar sind - intraoperativ laufend überwacht und erhalten werden. Mithilfe einer Stimulationssonde lassen sich die Funktionen eines kleinen Volumens an Hirngewebe vorübergehend stören und somit die Folgen einer allfälligen Resektion simulieren. Dank der aktiven Mitarbeit des Patienten und der Sonde kann das pathologische Gewebe somit bis unmittelbar an funktionsrelevantes Hirngewebe heran entfernt werden. Dadurch kann die Resektion pathologischer Prozesse maximiert werden, ohne die Lebensqualität des Patienten zu gefährden.
Ablauf der Operation
Am Morgen betritt der Patient den Operationssaal und hilft bei seiner Lagerung aktiv mit. Die Offenlegung des Gehirns erfolgt unter örtlicher Betäubung und Sedierung. Auf den Beginn des eigentlichen Gehirneingriffs hin wird die Sedierung des Patienten aufgehoben. Während der nun folgenden rund ein- bis maximal dreistündigen Operation löst er zusammen mit der Logopädin laufend Aufgaben – je nachdem, in welchem funktionellen Areal sich der Operateur befindet und an welche der Funktionsbahnen er sich herantasten will. So wird dem Patienten zum Beispiel alle vier Sekunden ein Bild eingeblendet, das er erkennen und benennen muss. Je nachdem fordert ihn die Logopädin auf, den Arm zu bewegen oder in der Nähe der Raumwahrnehmung eine Linie mit einem Strich zu halbieren.
Abschliessend werden alle Funktionen noch einmal getestet. Für den Rest der Operation wird der Patient ggf. noch intubiert. Durch die vorübergehende Schwellung des an die Operationshöhle angrenzenden Gehirns sowie die unmittelbare Nachbarschaft des Eingriffs an eloquente Areale kommt es häufig zu einer vorübergehenden Funktionseinbusse. Aus diesem Grund kann sich eine mehrwöchige Rehabilitation an den Eingriff anschliessen.