Von Hippel-Lindau-Syndrom (VHL)

Das Von Hippel-Lindau-Syndrom ist eine sehr seltene erbliche Erkrankung, bei der sich bereits schon früh im Leben gutartige und bösartige Tumoren ausbilden können. Die Patientinnen und Patienten entwickeln Gefässmissbildungen (Hämangioblastome) im Bereich der Netzhaut, des Kleinhirns und des Rückenmarkes, Zysten und Geschwulste in vielen inneren Organen (Bauchspeicheldrüse, Nieren) und bösartige Tumoren, vor allem der Nieren (Nierenzellkarzinom) und Nebennieren (Phäochromozytom). Im Bereich des Innenohres können sich ebenfalls Tumoren bilden (endolymphatische Sack-Tumoren, ELST).

Symptome

Beim VHL-Syndrom treten Symptome auf, die durch Fehlfunktionen der betroffenen Organe gekennzeichnet sind. Angiome der Netzhaut führen zu Sehstörungen, Tumoren des Innenohres zu Hörstörungen und Schwindel, Hämangioblastome des Kleinhirns und des Rückenmarkes zu neurologischen Ausfällen und bösartige Tumoren der Nieren zu Nierenfunktionsstörungen und Metastasen in anderen Organen (z.B. Lungen). Seltene endokrine Tumoren der Bauchspeicheldrüse (pankreatische neuroendokrine Tumoren) stören den Blutzuckerstoffwechsel, die Verdauung oder die Gefässregulation (Flush-Symptomatik). Tumoren der Nebenniere oder der Ganglienzellen des sympathischen Nervensystems rufen anfallsartige, exzessive Blutdrucksteigerungen hervor. Allerdings können auch viele dieser Geschwulste und Zysten lange Zeit ohne Symptome bleiben und sich selten auch ohne Behandlung zurückbilden.

Therapie

Eine Heilung des VHL-Syndroms ist nicht möglich, da die Ursache in den körpereigenen Genen liegt. Spezialistinnen und Spezialisten können die verschiedenen Tumoren gut behandeln. Um Komplikationen zu vermeiden, sind regelmässige Vorsorgeuntersuchungen nötig. In den USA wurde 2021 neu ein Medikament zugelassen, das speziell beim VHL-Syndrom zur Behandlung von Nierentumoren und Hämangioblastomen des zentralen Nervensystems zum Einsatz kommen kann. 

Betroffenen mit einer VHL-Veranlagung wird empfohlen, sich frühzeitig einem interdisziplinären Vorsorgeprogramm zu unterziehen. Dadurch können geeignete Behandlungsmassnahmen festgelegt und schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen des VHL-Syndroms verhindert werden. Durch die interdisziplinäre Abstimmung und Koordination der Spezialistinnen und Spezialisten kann die für die Patientin oder Patienten bestmögliche Behandlung erreicht werden.

Vorsorgeuntersuchungen

Sofern keine neuen Symptome auftreten, bieten wir Patientinnen und Patienten eine jährliche Vorsorgeuntersuchung an. Diese wird von der Klinik für medizinische Onkologie und Hämatologie koordiniert. Dabei sind einige Untersuchungen erforderlich und andere, je nach Symptomen, optional und werden individuell abgestimmt.

Erforderliche Untersuchungen

  • Allgemein internistische Untersuchung und Besprechung durch die Klinik für medizinische Onkologie und Hämatologie
  • Endokrinologische Untersuchung inklusive Blutentnahme
  • Augenärztliche Untersuchung
  • MRT-Untersuchung des Gehirns und des Rückenmarkes
  • MRT-Untersuchung des Abdomens (Bauch)

Optionale Untersuchungen und Beratungen

  • Hör- und Gleichgewichtstestung (z.B. bei Innenohrtumoren)
  • Gastroenterologische Untersuchung (Magenspiegelung und Endosonographie)
  • Urologische Untersuchungen (z.B. bei Nierentumoren)
  • Nephrologische Untersuchung (z.B. bei Nierentransplantation)
  • Humangenetische Beratung (z.B. bei Kinderwunsch)
  • Sozialmedizinische Beratung (z.B. bei Arbeitsunfähigkeit und IV-Fragen)

Multidisziplinäre Fallbesprechung

Am Kantonsspital St.Gallen besteht seit vielen Jahren ein multidisziplinäres Betreuungsnetzwerk zur bestmöglichen, umfassenden Abklärung und Behandlung dieser sehr seltenen chronischen Erkrankung. Sei dies eine zukünftige medikamentöse Therapie, eine Operation, eine Intervention oder die Beobachtung und Interpretation der Befunde. Am interdisziplinären Austausch zur optimal abgestimmten Zusammenarbeit sind erfahrene Fachpersonen der folgenden Disziplinen vertreten:

  • Onkologie
  • Neurologie
  • Neurochirurgie
  • Nephrologie
  • Urologie
  • Gastroenterologie
  • Chirurgie
  • Endokrinologie
  • Ophthalmologie
  • HNO
  • Genetik

Partnerschaftliche Zusammenarbeit

Das Betreuungsnetzwerk setzt auf eine partnerschaftliche Beziehung zu den zuweisenden Hausarztpraxen und niedergelassenen Fachdisziplinen und gewährleistet so eine umfassende Betreuung von Patientinnen und Patienten und deren Familien.

Betreuung für die ganze Familie

Im Rahmen einer familiären VHL-Erkrankung, bei der Eltern und Kinder betroffen sind, besteht eine Kooperation mit verschiedenen Fachbereichen des Ostschweizer Kinderspitals. Nach Erlangen des Erwachsenenalters werden die Betroffenen in die Erwachsenenmedizin überführt (sog. Transition).

Genetische Beratung

Betroffenen mit VHL-Veranlagung, die einen Kinderwunsch hegen, wird eine genetische Beratung und eine Untersuchung bezüglich Veränderung im VHL-Gen angeboten.